MFK: Ein mehr als nur vorteilhafter Kompromiss

MFK: Ein mehr als nur vorteilhafter Kompromiss

22. Januar 2015 agvs-upsa.ch - Mit dem Entscheid des Bundesrates, die Motorfahrzeugkontrolle (MFK) ab 2017 erstmals nach fünf, «spätestens» aber nach sechs Jahren zu vollziehen, erzielt der Auto Gewerbe Verband Schweiz (AGVS) mehr als nur einen für ihn vorteilhaften Kompromiss – im Grunde genommen muss man von einem Sieg sprechen. Dabei hat der Fall für ihn gar nicht gut begonnen. Lesen Sie hier das Protokoll einer Auseinandersetzung.

Juni 2012. Der Berner SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal reicht im Nationalrat ein Postulat ein, das verlangt, die Nachprüfintervalle bei Personenwagen von heute 4-3-2-2 auf künftig 7-2-2-2 Jahre zu verlängern. Von Siebenthal ist Bergbauer; was hinter seiner Berufung als Gallionsfigur der Intervall-Verlängerer steht, weiss wohl nur die Vereinigung der kantonalen Strassenverkehrsämter (asa), von deren Mitgliedern viele mit Nachprüfen heillos im Rückstand sind. Der Bundesrat setzt eine Arbeitsgruppe ein, zusammengesetzt aus Beamten des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) und der asa. Vom AGVS ist niemand dabei, man bleibt unter sich, bitte nicht stören. Dann hört man lange nichts.


Herbst 2013. Die Verlängerung wird konkret. Es muss damit gerechnet werden, dass die Vorlage in den nächsten Monaten in die Vernehmlassung geschickt wird. Der AGVS aktiviert den vorbereiteten Widerstand. Die Herausforderung besteht weniger darin, Argumente gegen die Verlängerung zu finden, denn davon gibt es viele gute, sondern sie auf die wichtigsten Botschaften zu begrenzen. Hauptansatzpunkt ist der Widerspruch zwischen dem bundesrätlichen Bemühen, über das Programm «Via sicura» mehr Sicherheit auf Schweizer Strassen zu schaffen, diese aber gleichzeitig mit der Verlängerung der Nachprüfintervalle zu torpedieren.

14. Januar 2014. Zentralpräsident Urs Wernli informiert am Tag der Schweizer Garagisten in einem Anschlussmeeting die Sektionspräsidenten. Die Positionen sind klar: Hier die AGVS-Garagisten, die Treuhänder der Sicherheit der Automobilisten, dort die asa und das ASTRA, die die Strassenverkehrsämter durch eine Verlängerung der Prüfintervalle entlasten möchten und dafür bereit sind, die Sicherheit aller aufs Spiel zu setzen. Man steht sich gegenüber wie im Film «High noon», die Sonne steht in ihrem Zenit, die Hitze flimmert und irgendwo quitscht ein Windrad.

21. Januar 2014. Der AGVS versucht noch einmal die Sache gütlich zu regeln und wendet sich in einem von Urs Wernli und Vizepräsident Daniel Senn unterzeichneten Schreiben an Verkehrsministerin Doris Leuthard. Darin verweist man auf Studien und Gutachten, die zum Schluss kommen, dass eine Verlängerung die Verkehrssicherheit auf Schweizer Strassen nachweisbar verschlechtert und dabei das Unfallrisiko zunimmt.

6. März 2014. Am Auto-Salon-Stand informiert der AGVS seine Mitglieder persönlich. Urs Wernli stellt gegenüber AUTOINSIDE klar: «Weil das ASTRA scheinbar unempfänglich ist für unsere fundierten Argumente gegen eine Verlängerung, bleibt uns nichts anderes übrig als eine Konfrontation.»

13. März 2014. Doris Leuthard antwortet schriftlich. Die Antwort hätte das ASTRA auch direkt schicken können: «Aufgrund der Erkenntnisse der (vom Bundesrat eingesetzten) Arbeitsgruppe kann ohne Einbussen bei der Verkehrssicherheit und beim Umweltschutz das erste Nachprüfintervall bei Personenwagen auf sechs Jahre verlängert werden.» Immerhin räumt sie ein, dass «bis zum fünften Jahr nach der ersten Inverkehrssetzung die Strassenverkehrsämter an weniger als zehn Prozent der geprüften Personenwagen erhebliche Mängel festgestellt haben.» Das heisst: bereits knapp jedes zehnte neuere Auto ist eine rollende Gefahr - die älteren Fahrzeuge nicht miteingerechnet. Für die Verkehrsministerin ist das offensichtlich kein Problem.


4. April 2014. Das ASTRA schickt die Vorlage in die Anhörung. Angeschrieben werden unter anderem die Krebsliga Schweiz, Pro Velo und der Samariterbund. Fehlen eigentlich nur noch die Vereinigung Schweizer Schwimmlehrer und die Hornusser. Der Begleitbericht ist unfreiwillig ungeschminkt: Der Leser erfährt, dass die Prüfrückstände in den Kantonen zwischen 2,6 und 36,6% des zu prüfenden Fahrzeugbestandes liegen und dass aktuell in der Schweiz 1,3 Millionen Autos – ein Viertel aller Fahrzeuge – in ungeprüftem Zustand herumfährt. Selbst das ASTRA erkennt: «Es besteht Handlungsbedarf.» Dass dieser aber für das ASTRA darin besteht, die Prüfintervalle zu lockern und nicht darin, die Prüfrückstände abzubauen, scheint ausser dem AGVS niemanden zu stören. Dabei schreibt das ASTRA in der Medienmitteilung zur Anhörung selbst: «Die Zulassungsstellen müssen die Prüfintervalle einhalten und wenn sie die notwendigen Prüfkapazitäten nicht selber bereitstellen können, die Prüftätigkeit an Dritte delegieren.» Den ersten Teil kann das ASTRA als Aufsichtsbehörde nicht gewährleisten, den zweiten Teil will es offensichtlich nicht.

20. Mai 2014. Der AGVS lädt zur Medienkonferenz, das Sitzungszimmer in der Mobilcity ist zum Bersten gefüllt. Zusammen mit Markus Peter, Leiter Automobiltechnik & Umwelt beim AGVS, und unabhängigen Experten wie Bernhard Gerster, Abteilungsleiter Automobiltechnik der Berner Fachhochschule, Uwe Ewert vom bfu und dem Anwalt Dr. Pascal Leumann legt Urs Wernli dar, was gegen die Verlängerung der Prüfintervalle spricht. Der mediale Niederschlag an den Tagen danach: mehr als 60 Artikel. Das Problem rückt ins Bewusstsein einer breiteren Bevölkerungsschicht.


2. Juni 2014. In Deutschland publiziert die Gesellschaft für Technische Überwachung (GTÜ) ihren jährlichen Mängelreport: Rund ein Viertel aller in Deutschland zugelassenen Personenwagen weisen an der Kfz-Hauptuntersuchung erhebliche Mängel auf. Praktisch dieselben Resultate liefern andere Prüforganisationen aus den Nachbarländern und zeichnen so ein sicher realistisches Bild. Bemerkenswert: Die Zahlen decken sich mit den wenigen Angaben, die in der Schweiz von kantonalen Strassenverkehrsämter an die Öffentlichkeit sickern – mehr Transparenz ist nicht erlaubt.

 




12. Juni 2014. Der Basler SVP-Nationalrat Thomas de Courten nutzt die Fragestunde im Nationalrat und doppelt nach: Womit rechtfertigt der Bundesrat angesichts der Überhänge bei den Prüfungen die Intervall-Verlängerung auf Kosten der Sicherheit? Zwei Monate später antwortet der Bundesrat in trockener Sprache mit bereits bekanntem Inhalt und bezieht sich dabei auf zweifelhaft aussagekräftige Statistiken..

28. Juni 2014. TCS und ACS schlagen sich auf die Seite des ASTRA.

4. Juli 2014. Einsendeschluss für die Vernehmlassung. Und jetzt kommt’s faustdick: Recherchen des Blick ergeben, dass es offensichtlich eine überarbeitete Version der Vorlage zu geben scheint, noch während der Anhörung angefertigt «vom Vorstand der Vereinigung der Strassenverkehrsämter asa in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Strassen ASTRA». So jedenfalls steht es im Begleitschreiben zur Anhörung der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) – und die sind ja nicht bekannt dafür, dass sie während der Arbeitszeit phantasieren. In dieser neuen Fassung sei der Passus «spätestens» auf Antrag der asa konsequent gestrichen. Mit anderen Worten: Die Wortführer der kantonalen Strassenverkehrsämter drängen nicht nur auf eine Verlängerung von 4 auf 6 Jahre für die erste Kontrolle, sie wollen auch verhindern, dass die Autos dafür «spätestens» dann geprüft sein müssen. Für den AGVS kommt das einer Bankrotterklärung gleich. Der Blick titelt: «Gefahr auf Strassen», der AGVS interveniert schriftlich gegen die von der KKJPD erwähnte überarbeitete Version – und das ASTRA gerät weiter unter Druck.

10. Juli 2014: In der „Neuen Luzerner Zeitung“ erscheint ein Artikel, indem der Kanton die Idee begrüsst, die Motorfahrzeugprüfungen später anzusetzen. Kein Wunder – im selben Artikel wird Peter Kiser zitiert, der Leiter des Luzerner Strassenverkehrsamtes. Dort ist man mit den Prüfungen in Verzug und rechnet damit, die Rückstände bis im Jahr 2020 abgebaut zu haben…

14. Juli 2014. Der Schweizerische Gewerbeverband (sgv) will einen Vorschlag einbringen, der die kantonalen Strassenverkehrsämter entlasten und den AGVS und seine Mitglieder stärker ins Kontrollwesen einbinden soll. Der Vorschlag wird am 8. August in der Schweizerischen Gewerbezeitung vorgestellt. Hinterfragt wird auch, ob die Strassenverkehrsämter die technischen und personellen Kapazitäten haben, um die immer komplexeren Fahrerassistenzsysteme der Fahrzeuge prüfen zu können.

Mitte August: Bundesrätin und Verkehrsministerin Doris Leuthard schickt eine Einladung zum Gespräch. Offensichtlich nervt sie das permanente Powerplay der Garagisten. Beim AGVS sitzt man zusammen und berät die Taktik. Dabei ist allen Beteiligten klar: Das mit den ursprünglich verlangten vier Jahren – also das bisherige Prüfregime – ist nicht zu halten. Es ist schliesslich AGVS-Vizepräsident Manfred Wellauer, der das interne Ziel wie folgt formuliert: „Verlängerung auf 5 mit Zeitlimit 6 Jahre. Wenn Überhänge nach 6 Jahren noch bestehen muss an zertifizierte Fachspezialisten delegiert werden.“ Noch hat niemand eine Ahnung, dass Wellauer damit genau den Punkt trifft. Man ist sich einig: Würde der Bundesrat so entscheiden wäre das ein Erfolg.


Am 1. September trifft sich die Delegation des AGVS auf ihre Einladung mit Verkehrsministerin Doris Leuthard und Beamten des ASTRA. Die Stimmung ist entspannter als erwartet. Der AGVS bleibt seiner Argumentation treu: Die Mängelstatistiken und, bei genauerem Hinschauen auch die Unfallstatistiken sagen etwas anderes als das ASTRA in seiner Begründung zur Verlängerung der Prüfintervalle. Aber man findet sich nicht. Nach der Sitzung geht man auseinander – aber für den AGVS ist dieses Kapitel noch nicht abgeschlossen. Er behält den Druck aufrecht, und nutzt auch gegenüber den Medien jede sich bietende Gelegenheit, seine Argumente darzulegen. Steter Tropfen höhlt den Stein.

Winter 2014: Auf Umwegen sickert durch, dass der Bundesrat dem Seilziehen gleich zu Beginn des neuen Jahres ein Ende bereiten will. Mit dem Weihnachtsgeschenk an den AGVS wird es damit nichts. Die Spannung steigt trotzdem.

Januar 2015: In diesem Monat gibt es nur drei Bundesratssitzungen: am 14., 21. und 28. Die Bundeskanzlei kann (oder will) auch einen Tag vor dem 14. keine Auskunft über die im Bundesrat traktandierten Themen geben. Das Kommunikationsteam des AGVS bezieht Stellung. Aber der 14. vergeht ohne MFK im Bundesrat.

21. Januar: Die Würfel sind gefallen! Der Bundesrat verkündet: „Personenwagen und Motorräder müssen künftig erst fünf Jahre, spätestens aber bis zum sechsten Jahr nach der ersten Inverkehrsetzung beim Strassenverkehrsamt nachgeprüft werden.“ Und, weiter: „Es ist Aufgabe der Kantone, die zur Einhaltung der Prüfintervalle nötigen Massnahmen zu treffen, wie z.B. die notwendigen Prüfkapazitäten bereitzustellen oder die Kontrollen an private Prüfstellen auszulagern.“ Um den Kantonen dafür genug Zeit zu geben, treten diese Änderungen am 1. Februar 2017 in Kraft. Beim AGVS hat nicht nur Manfred Wellauer ein augenzwinkernrdes Lachen im Gesicht…


«Jetzt spielen die Sektionen eine zentrale Rolle»

Mit dem Entscheid des Bundesrates geht eine lange und hart geführte Auseinandersetzung mit dem Bundesamt für Strassen zu Ende. Wie beurteilen Sie das Resultat?
Urs Wernli: Das Resultat darf unter Berücksichtigung der anfänglichen Vorschläge einer Ausweitung des ersten Prüfintervalls auf sieben Jahre ohne zwingende Vollzugsfrist als zufriedenstellend gewertet werden. So wurden die Anliegen und Argumente des AGVS zumindest teilweise berücksichtigt. Dennoch darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Schweiz damit die längsten Prüfintervalle in ganz Europa aufweist. Ob dieses Defizit durch die seitens Bundesamt für Strassen immer wieder vielgelobte Eigenverantwortung der Schweizer Fahrzeugbesitzer kompensiert werden kann, beurteile ich mit Blick auf den in Werkstätten unserer Mitglieder festgestellten Fahrzeugzustand als kritisch. Beim seitens Behörden zitierten technischen Fortschritt als Grund für die Anpassung der Prüfintervalle bestehen meiner Meinung nach Zweifel, wie sehr sich damit längere Prüfintervalle rechtfertigen lassen, denn auch Schweizer Fahrzeuge sind unabhängig vom technischen Fortschritt genauso von Verschleiss und unvorhergesehenen Schäden wie zum Beispiel durch Marderbisse betroffen als im Ausland eingelöste Fahrzeuge und bedürfen daher regelmässiger Kontrollen. Wer dies unter Berücksichtigung der Herstellervorgaben im Rahmen des Service erledigen lässt, trägt sicher schon viel zur Verkehrssicherheit bei.


Doch was ist mit denjenigen Fahrzeugbesitzern, welche – aus welchen Gründen auch immer – ihr Fahrzeug nicht regelmässig in den Service bringen?
Urs Wernli: Hier hat es der Bund versäumt, dafür zu sorgen, dass auch diese Fahrzeuge spätestens nach Ablauf von Garantie und Leasingverträgen zwingend überprüft werden müssen. Dies hätte auch den ambitiösen Zielen von Via Sicura Rechnung getragen. Als Verbesserung gegenüber der heutigen Situation darf sicher die neue Formulierung der ersten Prüffrist hervorgehoben werden. Damit ist ab 1. Februar 2017 klar geregelt, dass die erste Prüfung bis spätestens sechs Jahre nach der ersten Inverkehrsetzung stattfinden muss.

Was kann der AGVS jetzt tun, um die Zeit bis zum Beginn des neuen Regimes ab 1. Februar 2017 zu nutzen?
Urs Wernli: Es wird darum gehen, den Kontakt und die Zusammenarbeit mit den kantonalen Strassenverkehrsämtern zu intensivieren und gemeinsam sinnvolle und effektive Lösungen für einen fristgerechten Vollzug zu erarbeiten. Dabei spielen die AGVS-Sektionen eine zentrale Rolle, denn vielerorts haben sie bereits einen guten Draht zum Strassenverkehrsamt und arbeiten zum Teil schon sehr eng zusammen. Diese positiven Beispiele der Zusammenarbeit zwischen Autogewerbe und Behörde gilt es nun zu festigen und bei Bedarf auszubauen. Kantone, die mit den Fahrzeugkontrollen stark im Rückstand sind und entsprechenden Bedarf an Prüfpersonal oder Prüfinfrastruktur benötigen, sollten vom reichen Erfahrungsschatz anderer Kantone und der AGVS-Sektionen bei der Delegation von Fahrzeugprüfungen profitieren. Der AGVS-Zentralverband steht dabei selbstverständlich unterstützend zur Seite.

Was ist das erklärte Ziel des AGVS?
Urs Wernli: Der AGVS setzt sich für effiziente Abläufe rund um die Fahrzeugprüfungen ein. Dies entlastet nicht nur die kantonalen Prüfstellen, sondern widerspiegelt sich auch in einer Kosten- und Zeitersparnis für die Fahrzeugbesitzer. Dies möchten wir damit erreichen, dass die AGVS-Mitgliederbetriebe noch stärker in das Fahrzeugprüfwesen eingebunden werden. Dabei muss es oberstes Ziel bleiben, dass eine positive Kundenbeziehung im Vordergrund steht. Unter diesem Aspekt muss beispielsweise eine klare betriebsinterne Unterscheidung zwischen hoheitlichen und anderen Arbeiten und eine entsprechende Qualitätssicherung stattfinden.

Haben Sie intern schon Reaktionen bekommen? Wie fielen die aus?
Urs Wernli: Bisher gab es seitens der Mitglieder noch wenig direkte Reaktionen auf den Bundesratsentscheid. Ich stelle aber fest, dass im Vorfeld das Engagement des AGVS zum Wohle der Garagisten und der Verkehrssicherheit durchaus bemerkt und positiv quittiert wurde.

Medienmitteilung [PDF] des AGVS
Medienmitteilung der Bundeskanzlei

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